Die Geschichte des Buches der Einfahrerlieder

Soweit bekannt ist, entstanden die ersten Einfahrerlieder erst in der Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die meisten Lieder verwendeten eigängige Melodien. Geklaut haben da auch schon andere Klassiker.  Einem der Einfahrerlieder aus dieser Frühzeit  „Wir lassen heut´erschallen …“ liegt zum Beispiel musikalisch der “Marsch der K&K Kaiserjäger“ und dem „Einfahrer von Jene“ Goethes „König von Thule“ zu Grunde.  Viele Lieder entstanden regional auf Baustellen und haben damit irgendetwas mit den Shanties der Seefahrer gemein. Die meisten Lieder wurden später zum allgemeinen Einfahrerliedgut und  kaum einer macht sich dabei noch Gedanken über die Ursprünge.
Der Gedanke diese Lieder und andere oft gesungenen Volks- und Stimmungsliedern zu sammeln und zu vervielfältigen entstand schon sehr früh; denn die Einfahrer waren immer schon eine sangesfreudige Gemeinschaft. Die Kopien im DIN A4-Format wurden als Ormig-Abzüge schon lange vor 1980 im Einfahrergepäck mitgeführt. Die Lebensdauer dieser losen Blätter im dünnen Pappordner war bei  häufigem Gebrauch aber sehr begrenzt, so dass etwa in der Zeit nach 1984 der Gedanke an ein eigenes strapazierfähiges Buch der Einfahrerlieder aufkam.  Obwohl traditionelle Studentenlieder und ähnliches Liedgut in der DDR nur bedingt geduldet wurden, orientierten wir uns bei der äußeren Form des Buches kurioserweise an dem Kommersbuch von Friedrich Engels. Wir hatten bis dahin leibhaftig noch kein Kommersbuch gesehen, kannten aber eine Beschreibung des Schreibtisches von Engels, auf dem ein solches Buch gelegen haben soll. Es hatte Biernägel, damit es nach dem Umkippen eines vollen Bierglases keinen Schaden nahm, war in strapazierfähigen brauen Leder gebunden und besaß metallene Schutzecken damit man auch mal zum Takt der Lieder auf den Tisch hauen konnte.  So wichtig kann Geschichtsunterricht sein!
Das Buch der Einfahrerlieder wurde in den Jahren 1984/85 „produziert“. Es wurde auf einem Computer der Baureihe MC80.10 vom VEB Elektronik Gera geschrieben. Diese Computer war zu diesem Zeitpunkt Stand der Technik in der DDR. Er war nicht grafikfähig, hatte ein auf Europa-Platinen basierendes eigenes Mikrorechnersystem und wog satte 30 kg! Als wichtigen Aspekt für die Erstellung unseres Liederbuches besaß er eine Schnittstelle, die die Ausgabe von Daten und Dateien an einen Lochbandstanzer ermöglichte.  Solche Papierlochstreifen wurden noch bis in die 80er Jahre als Speichermedium verwendet. Die Datendichte betrug 10 Byte/Zoll  und es musste deshalb auch eine Menge Papier produziert werden. Änderungen auf dem Lochstreifen konnten nur vorgenommen werden, indem man  einen neuen Lochstreifen erstellte oder die fehlerhafte Stelle überklebte und per Handlochung korrigierte. Oft rissen die Papierstreifen auch beim Einzug und dann konnte auch wieder nur geklebt werden. Im damaligen Geräteprüffeld gab es einen Fernschreiber, der diese Dateninformationen vom Lochstreifen verarbeitete. Eines der Schlüsselprobleme war die Beschaffung eines dünnen und reißfesten Papieres, das auf dem Fernschreiber lief und den angestrebten Taschenbuchcharakter des Liederbuches unterstützte. Dabei kamen uns die Beschaffungserfahrungen in jener Zeit (Ware gegen Ware) zu Gute. Der leider schon verstorbene Gruppenleiter Horst Schmidt vermittelte uns einen Kunden, der große Mengen von leeren Schreiberrollen eingelagert hatte. Wir besaßen die Transmitter, die er benötigte – und so kam der Warentausch zustande. Wir fanden im Einzelhandel mühevoll die notwendigen Metallbeschläge für das Buch und einen Buchbinder, der die mit Blattgold bedruckten Einbände aus braunem amerikanischen Ziegenleder und strapazierfähigem roten Rindsleder herstellte.
Die Logistik für den wochenlangen Druck im Geräteprüffeld, Beschaffungsfragen, der Seitenschnitt und letztendlich die Zusammenstellung von etwa 4000 Einzelseiten zu den etwa 35 Exemplaren der Erstausgabe des Liederbuches von 1985 versetzt auch heute noch in Erstaunen.
Die „Erstinbetriebnahme“ des Buches erfolgte im Rahmen einer Gruppenveranstaltung der Dresdener Einfahrer in der Triebischtalbaude.